GEMA vor der Selbstauflösung?

Beim Camp der all2gethernow in Berlin im September diesen Jahres war schon bei der allerersten Diskussionsrunde “Verwertungsgesellschaften und alternative Lizenzen” eine gänzlich ungewohnte GEMA zu erleben gewesen. Deren Justiziar Kilian Steiner hatte nämlich – wenn auch auf tadellosem Englisch – zu verstehen gegeben, dass die GEMA-Offiziellen bereit sind, das gesamte System der altehrwürdigen Gesellschaft auf den Prüfstand zu stellen. Vor dem Hintergrund alternativer Verbreitungs- und Verwertungsmodelle im Netz solle es keine Denkverbote geben, was die Arbeitsweise der GEMA angehe, so Steiner. Das lässt auf einen vernünftigeren Umgang hoffen.

Es gab allerdings am nächsten Tag eine weitere Veranstaltung mit GEMA-Beteiligung, und zwar ein klassisches Panel im Rahmen der Cloud der all2gethernow: Der VUT hatte zusammen mit media.net berlin brandenburg in den Meistersaal am Potsdamer Platz geladen und war auf dem Panel auch mit seinem Vorsitzenden und Freibank-Chef Mark Chung vertreten. Unter juristisch geschulter Moderation hieß das Thema “Musik im Internet – Nadelöhr Rechteerwerb”. Alle Diskutanden schienen dabei mehr oder weniger frei von zurechtgelegten Aussagen drauflos zu sprechen, aber vor allem Alexander Wolf (bei der GEMA u.a. Syndikus für internationale Rechtsfragen) hatte überraschende Antworten parat. 

Das große Problem namens “Split Copyright”

Wer aufgrund des Titels Neuigkeiten dazu erwartet hatte, wie dem Endnutzer möglichst reibungsarm Rechte zur legalen Musiknutzung eingeräumt werden können, wurde enttäuscht. Es ging vielmehr darum, wie die Zwischenhändler der Musikvermarktung am effizientesten die Verwertungsrechte bei den Urhebern einsammeln können (Mark Chung ließ sich denn auch gegen Ende zu der Bemerkung hinreißen, man spreche die ganze Zeit nur über die nicht mal 20% legaler Musiknutzung statt nach neuen Wegen bzgl. der 80% Piraterie zu suchen). Die Diskussion kam so fast zwangsläufig sehr schnell auf das “Split Copyright” zu sprechen. Darunter ist das um sich greifende Phänomen zu verstehen, dass die verschiedenen Rechte an Musiktiteln, also Verbreitungsrecht, Aufführungsrecht, Recht der Online-Zugänglichmachung usw. nicht mehr bei ein oder zwei Institutionen untergebracht und durch diese vergeben werden, sondern bei immer mehr verschiedenen Institutionen liegen.

Schon seit Aufkommen der “Onlinenutzung” (untechnisch ausgedrückt) als anerkannter neuer Nutzungsart in den 90er Jahren hatte die GEMA das Problem, dass die zugehörige Rechtewahrnehmung nach damaliger Rechtslage nicht im Voraus der GEMA übertragen werden konnte. Es mussten also nachträglich alle GEMA-Mitglieder um Übertragung der Online-Wahrnehmung gebeten werden. Der Großteil der so gefragten Mitglieder bzw. ihre Labels und Verlage ging darauf aber nicht ein, so dass die GEMA noch heute viele Titel nicht online verwerten darf. Dann kamen 2005 auch noch die Wettbewerbshüter der EU-Kommission auf die Idee, den Europäischen Verwertungsgesellschaften einen Wettbewerb um Mitglieder zu verordnen.

Umgründung als Ausweg?

Diese Sachlage und auch ein paar weitere Tücken des Online-Geschäfts wurden vom Panel eingehend besprochen. Die Politik der EU sei vollkommen fehlgegangen und außerdem seien die behörden-ähnlichen Strukturen der kollektiven Rechtewahrnehmung in Deutschland, maßgeblich verankert im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, sowieso Schuld daran, dass die GEMA im internationalen Rechtehandel nicht zeitgemäß agieren könne. Die Musikschaffenden und Verleger können und wollen nicht jahrelang auf das Ergebnis von ordnungsgemäßen Tarifverhandlungen warten und stehen daher inzwischen individuell oder in Grüppchen bei iTunes und Nokias Ovi-Store vor der Tür, um möglichst schnell am Internetgeschäft verdienen zu können. Als gegen Mitte der Diskussion die ganze Misere ausgebreitet war, wurde von Moderator Dr. Schaefer die Frage gestellt, ob man nicht die GEMA auflösen und ohne all die ungeliebten Fußfesseln als eine “Online-GEMA” oder etwa ähnliches neugründen sollte. Überraschenderweise ließ Alexander Wolf wissen, dass genau das der richtige Weg sei, und Sony-Mann Patrick Strauch deutete an, dass die Branche bereits erste Ideen für einen neuen übergeordneten Zusammenschluss entwickele.

Die Einschätzung, was im Einzelnen von diesen Aussagen der Panel-Teilnehmer wohl zu halten sein mag, soll an dieser Stelle der interessierten Netzöffentlichkeit ermöglicht werden. Darum gibt es:

  • Einen Mitschnitt der kompletten Diskussion als mp3-File (Achtung, fast 65MB! Wenn jemand spiegeln könnte, wäre das hilfreich)
  • Ein Transkript der 20 Minuten zur Frage, wie es weitergehen soll (Achtung, langer Text! Es handelt sich um die Passage von 00:44:08 bis 01:06:15)

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